10.04.2020 Karfreitag – Todesstunde

10.04.2020 Karfreitag – Todesstunde

Predigt: 7 Worte Jesu am Kreuz

„Der Vorhang sperrt das Leben aus und schluckt den Lärm der Stadt.
Ein letztes, weiches Licht liegt auf der Wand.
Die Stimme aus dem Bett kommt nur noch zögernd an und matt,
und einer hält die klein gewordene Hand.
Wenn Liebe erst zu Schmerz gerinnt, wenn jeder Satz Gewicht gewinnt, wenn schon Erinnerung beginnt,
dann hört man sie: es sind
Letzte Worte – was werden meine sein,
was werden deine sein?
Was fällt uns wohl zum guten Schluss noch ein?
Letzte Worte – ob dann sich niederschlägt, was unser Leben prägt,
und ob uns das durch jene Stunde trägt?
Man schrieb es flüsternd auf, was uns die Großen ihrer Zeit als letztes hinterließen vor dem Tod.
Für einen war das Sterben wie ein Sprung in Dunkelheit, ein andrer gab sein Leben ab an Gott.
Ein Spötter sah, vor Staunen starr, was für ein Nichts sein Leben war, und feilschte um ein halbes Jahr und starb doch wie ein Narr.
Ein reicher Armer lud den Tod mit offenen Armen ein, ein andrer sah den Himmel offen stehn.
Ein armer Reicher fand es Hölle, ganz allein zu sein, ein Dichter rief nach Licht, um klar zu sehn.
Wenn nichts mehr bleibt von Ruhm und Geld, wenn Sprüche machen nicht mehr zählt, wenn nur ein fester Anker hält,
dann räumt der Stolz das Feld.
Auf einem Hügel vor der Stadt hängt einer in der Luft und stirbt verhetzt, verlassen und verlacht. Er segnet seine Feinde noch, bevor er endlich ruft, was er nur sagen kann: Es ist vollbracht.
Weil dieser Satz bis heute reicht und quer durch mein Versagen streicht, das letzte Defizit begleicht, sind sie mir eher leicht:
die letzten Worte – was werden meine sein, was werden deine sein?
Wird das vielleicht schon heute abgemacht?
Letzte Worte – sie stehn schon heute fest: Wer Gott sein Leben lässt, der hört es bis zum Schluß: Es ist vollbracht.“

Manfred Siebald spricht in seinem Lied „Letzte Worte“ eine sehr spannende Frage an, eine Frage, die sehr nah geht. Was werden die letzten Worte sein?

Immer wieder erleben wir es, dass wir von Mitmenschen Abschied nehmen müssen. - Das wird uns gerade in diesen Zeiten der Corona-Krise bewusst. - Dann beginnen sehr schnell die Erinnerungen. Wie haben wir den Menschen erlebt? Was hat ihn und sein Leben ausgemacht? Welche Begabungen und Fähigkeiten hat er besessen? Unter welcher Überschrift könnte das Leben stehen? Und wer die letzten Momente im Leben eines Menschen miterleben konnte, der erinnert sich auch ganz besonders an die letzten Worte, die ausgesprochen wurden. Und darin liegt oft ein Resumée des Lebens. Daraus können wir erspüren, worauf dieser Mensch gebaut hat, was ihm wichtig war, was ihm Halt gegeben hat.

Und gleichzeitig stellt sich auch die Frage an uns selber: Was könnten unsere eigenen letzten Worte sein? Was ist der Inhalt unseres Lebens? Worauf haben wir gesetzt in unserem Leben? Wird es ein friedvoller Heimgang sein? Oder wird es eher ein schwieriger Abschied aus dieser Welt werden?

Manch einer möchte sich am liebsten nicht damit beschäftigen. Manch einem gehen diese Fragen zu dicht an die Seele. Manch einer möchte diese Fragen am liebsten von sich schieben. Doch wir müssen bedenken, dass wir nicht um diese Fragen herumkommen werden. Es ist die nüchterne Realität, dass unser Leben auf einen irdischen Endpunkt zugeht.

Manfred Siebald gibt uns einige Beispiele von bekannten Persönlichkeiten, deren letzte Worte aufgezeichnet oder überliefert wurden. Sterben ist wie ein Sprung in Dunkelheit. Einer, der immer viel Spott zum Ausdruck brachte, wenn es um die Frage ging, was nach diesem Leben ist, erkennt plötzlich die Nichtigkeit seines Lebens. Von Friedrich Nietzsche ist ja überliefert, dass er an sein Bett gekrallt voll Angst geschrieen haben soll: „Sie holen mich.“ Und der Dichter, der nach mehr Licht verlangte, soll wohl Goethe gewesen sein.

Der Tod verkehrt auch soziale Unterschiede. Reichtum spielt im Tod keine Rolle mehr. Es gilt für alle, dass wir dann mit leeren Händen dastehen. Man kann nichts mitnehmen, auch wenn das manche Völker geglaubt haben und Grabbeigaben den Verstorbenen zur Seite legten.

Angeben und große Sprüche klopfen sind in der Stunde des Abschiedes fehl am Platz. Dann kommt es auf das Entscheidende an, auf das, was auch in diesem Augenblick noch trägt.

Manfred Siebald fordert uns heraus mit seinem Lied: „Letzte Worte“. Ja, was werden meine sein, was werden deine sein?

Bei dieser Frage blickt Siebald auf einen, der sehr bemerkenswerte Worte gefunden hat am Ende seines irdischen Lebens. Das Lied „Letzte Worte“ finden wir auf Siebalds CD „Zeitpunkte“. Und genau in einem solchen Zeitpunkt stehen wir in dieser Stunde. Es ist eine ganz bewegende Stunde auf dem Lebensweg Jesu. Es ist eine ganz bewegende Stunde in der Geschichte der Menschheit. Und  in dieser so entscheidenden Stunde findet Jesus diese Worte auf die uns Manfred Siebald in seinem Lied hinweist: „Es ist vollbracht!“

Es sind nicht die einzigen Worte Jesu dort oben am Kreuz. Sieben Worte sind uns überliefert, die uns sein Vermächtnis mitteilen. Unter diesen sieben Worten ist „Es ist vollbracht!“ wohl das umfassendste Wort. Doch auch die anderen Worte enthalten entscheidende Aspekte, die uns Jesus mit auf unseren Weg gibt und die uns auch in Blick auf unser Leben und unsere letzte Stunde sehr hilfreich sein wollen. Diese sieben Worte Jesu am Kreuz, die wir vorhin gehört haben, zielen auf sehr grundlegende Fragen unseres Lebens.

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Mit diesem ersten Wort nimmt Jesus die Menschen in den Blick, die ihn und auch die beiden Mitgekreuzigten ans Kreuz gebracht haben. Es ist der Blick auf alles Leid, das Menschen einander in ihrer Verbohrtheit und in ihrem Hass und Streben nach Macht anderen zufügen können. Und da können auch wir uns entdecken, wir, die wir manch einem Mitmenschen mit Ablehnung und Egoismus begegnen.

Und da muss ich bekennen, wie gut mir diese Worte des Gekreuzigten tun, der um Vergebung bittet, auch für diejenigen, die das Schlimmste zuwege bringen. Es sind befreiende Worte, nicht Worte, die alles legitimieren, die aber demjenigen, der schuldig geworden ist, die Möglichkeit geben, umzukehren, die Last der Schuld abzugeben und neu anfangen zu können. Jesus eröffnet auch seinen Widersachern die Chance eines Weges in die Zukunft. Und das ist beachtlich!

Im zweiten Wort denkt Jesus an die Hinterbliebenen. Jedes Mal, wenn ein Mensch aus diesem Leben scheidet, bleiben andere zurück, Menschen, die nun den Weg weitergehen müssen ohne den, von dem Abschied genommen wird. Und das ist auch in den traurigen Fällen so, wenn zur Trauerfeier niemand erscheint. Auch vor diesen Menschen können wir nicht die Augen verschließen. Jesus macht mit seinem zweiten Wort, das eigentlich aus zwei Hälften besteht, deutlich, dass wir aufeinander bezogen sind, dass wir zusammengehören. Er weist seine Mutter an seinen Lieblingsjünger: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Und er weist den Jünger an seine Mutter und spricht zu ihm: Siehe, das ist deine Mutter!

Die frühe Kirche hat in Maria die Kirche gesehen und in dem Jünger den Einzelnen. Und das macht uns deutlich, dass wir in eine große Gemeinschaft einbezogen sind. Jesus hat es so gewollt, dass die Seinen zu einer tragenden Gemeinschaft zusammengebunden sind und einander tragen, gerade auch auf schweren Wegstrecken, gerade auch auf dem Weg der Trauer.

Das dritte Wort Jesu am Kreuz nimmt die beiden Mitgekreuzigten in den Blick. Beide sind Verbrecher. Beide haben etwas angestellt, wofür sie nun bestraft werden. Nur der eine von beiden gesteht sich das nun ein, dass sein Weg falsch war. Er bekennt Jesus, dass das, was er getan hat, nicht in Ordnung war. Er erkennt, wer Jesus ist, und richtet sein ganzes Vertrauen auf den, der dort in der Mitte gekreuzigt ist.

Auch heute kommt es vor, dass Menschen in der Stunde ihres Todes noch das eine oder andere regeln wollen, noch einmal über das sprechen wollen, was in ihrem Leben misslungen ist, wo sie Schuld auf sich geladen haben, wo sie den Eindruck haben: Das muss ich noch in Ordnung bringen.

Jesus macht mit seinem dritten Wort deutlich, dass sich auch für denjenigen, der im letzten Augenblick noch umkehrt, eine Tür öffnet: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Welch eine Verheißung!

Doch die letzte Stunde kann auch mit ihrer ganzen Schwere über einen hereinbrechen. Aus dem Leben zu scheiden, bedeutet: Jetzt ist es aus mit dem irdischen Leben. Die irdischen Lichter gehen aus. Jesus erfährt dies als totale Gottverlassenheit. Er betet den 22. Psalm: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Dieses vierte Wort Jesu am Kreuz führt uns vor Augen, wie Jesus selbst diesen Moment der Gottverlassenheit durchlebt hat. Gerade bei Katastrophen und Unfällen, bei erschütternden Situationen spüren wir eine solche Gottverlassenheit. Und manch einer klagt dies offen. Das Psalmwort ist eine solche Klage. Hier ist uns Jesus in der tiefsten Finsternis nah. Doch der Psalm geht weiter. Er will weitergebetet werden. Und er gibt uns selbst in diesen finstersten Momenten des Lebens eine Ahnung vom österlichen Schein.

Mich dürstet! Das ist das fünfte Wort Jesu am Kreuz. Es drückt dieses grundlegende Bedürfnis des Sterbenden aus. Es ist Ausdruck trockener Kehle und schwindender Vitalität. Es ist aber auch ein Verlangen nach einer anderen Welt. Mich dürstet – nach Gerechtigkeit. Das hat Jesus immer wieder betont. Und wir haben unsere Welt mit ihren großen und kleinen Nöten, mit den Ängsten angesichts der Corona-Pandemie, mit den Regionen voll Krieg und Hunger und den Gegenden, in denen der Reichtum auch nicht glücklich macht, vor Augen. Jesus dürstet nach Leben. Und auch wir dürsten oft nach Leben, nach einem Leben, das den Geschmack von Freiheit trägt.

Jesus sagt: Es ist vollbracht. Es ist sein sechstes und umfassendste Wort am Kreuz. Es ist vollbracht. Das klingt in unseren Ohren, wie ein Werk, eine Arbeit die zum Abschluss gekommen ist. Das können wir sagen, wenn wir uns zurücklehnen können, weil wir stolz auf ein gutes Ergebnis blicken können. Doch diese Worte im Augenblick des Todes am Kreuz lassen uns eher verwundern. Aber Jesus drückt damit aus, dass sein Weg zum Ziel gekommen ist. Er hat sich nicht von den Versuchungen des Egoismus verleiten lassen. Er hat nicht auf sich geschaut. Er hat nicht versucht, sein Leben zu retten. Er hat alles, er hat sich gegeben, damit dadurch das neue Leben aufblühen kann. Er hat alles gegeben, damit wir aufatmen können.

Und so konnte er in Frieden aus diesem Leben scheiden. Wenn die Kräfte schwinden, wenn der Mensch den Eindruck gewinnt, dass er nicht mehr Herr über sein Leben ist, dass er nichts mehr im Griff hat, dann ist es gut zu wissen, dass man sein Leben getrost in die Hände eines anderen legen kann. Jesus legt am Kreuz sein Leben in die Hände des Vaters: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Das ist sein siebentes und letztes Wort. Es ist ein Wort tiefen inneren Friedens. Wer so stirbt, der stirbt wohl.

„Die letzten Worte – was werden meine sein, was werden deine sein? Wird das vielleicht schon heute abgemacht? Letzte Worte – sie stehen schon heute fest: Wer Gott sein Leben lässt, der hört es bis zum Schluss: Es ist vollbracht.“ So singt es Manfred Siebald. Das Kreuz Christi steht heute vor unseren Augen. An ihm entscheidet sich, wie wir leben wollen. Wir können schon heute festmachen, dass wir auf den bauen wollen, der für uns ans Kreuz gegangen ist, der für uns Vergebung, Befreiung und die Fülle des Lebens errungen hat. Auf ihn dürfen wir trauen auf dem Weg durch die Zeiten. Mit ihm können auch unsere letzten Worte voll Frieden sein: „Es ist vollbracht.“

Amen.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg