24.01.2021 3. Sonntag nach Epiphanias

24.01.2021 3. Sonntag nach Epiphanias



Predigt: Ruth 1:1-19a

1 Zu der Zeit, als die Richter richteten, entstand eine Hungersnot im Lande. Und ein Mann von Bethlehem in Juda zog aus ins Land der Moabiter, um dort als Fremdling zu wohnen, mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. 2 Der hieß Elimelech und seine Frau Noomi und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon; die waren Efratiter aus Bethlehem in Juda. Und als sie ins Land der Moabiter gekommen waren, blieben sie dort. 3 Und Elimelech, Noomis Mann, starb, und sie blieb übrig mit ihren beiden Söhnen. 4 Die nahmen sich moabitische Frauen; die eine hieß Orpa, die andere Rut. Und als sie ungefähr zehn Jahre dort gewohnt hatten, 5 starben auch die beiden, Machlon und Kiljon. Und die Frau blieb zurück ohne ihre beiden Söhne und ohne ihren Mann. 6 Da machte sie sich auf mit ihren beiden Schwiegertöchtern und zog aus dem Land der Moabiter wieder zurück; denn sie hatte erfahren im Moabiterland, dass der HERR sich seines Volkes angenommen und ihnen Brot gegeben hatte. 7 Und sie ging aus von dem Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter mit ihr. Und als sie unterwegs waren, um ins Land Juda zurückzukehren, 8 sprach sie zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht hin und kehrt um, eine jede ins Haus ihrer Mutter! Der HERR tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den Toten und an mir getan habt. 9 Der HERR gebe euch, dass ihr Ruhe findet, eine jede in ihres Mannes Hause! Und sie küsste sie. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten 10 und sprachen zu ihr: Wir wollen mit dir zu deinem Volk gehen. 11 Aber Noomi sprach: Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Wie kann ich noch einmal Kinder in meinem Schoße haben, die eure Männer werden könnten? 12 Kehrt um, meine Töchter, und geht hin; denn ich bin nun zu alt, um wieder einem Mann zu gehören. Und wenn ich dächte: Ich habe noch Hoffnung!, und diese Nacht einem Mann gehörte und Söhne gebären würde, 13 wolltet ihr warten, bis sie groß würden? Wolltet ihr euch einschließen und keinem Mann gehören? Nicht doch, meine Töchter! Mein Los ist zu bitter für euch, denn des HERRN Hand hat mich getroffen. 14 Da erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr. Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter, Rut aber ließ nicht von ihr. 15 Sie aber sprach: Siehe, deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott; kehre auch du um, deiner Schwägerin nach. 16 Rut antwortete: Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. 17 Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden. 18 Als sie nun sah, dass sie festen Sinnes war, mit ihr zu gehen, ließ sie ab, ihr zuzureden. 19 So gingen die beiden miteinander, bis sie nach Bethlehem kamen.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,

wo fühlen wir uns zu Hause? Wer oder was gibt uns Halt im Leben? Wo finden wir eine Perspektive für die Zukunft? Das sind grundlegende Fragen in unserem Leben und nicht zuletzt in diesen Zeiten, in denen wir stehen. Viele können Corona nicht mehr hören. Viele sehnen sich nach anderen Zeiten. Und gleichzeitig ringen so viele in dieser Zeit um ein sinnvolles und erfülltes Leben. Wenn all das nicht mehr so geht, was wir gewohnt waren, was für uns zum Standard des Alltages gehörte, dann stellen sich ganz neu diese grundlegenden Fragen des Lebens. Wo ist unser Zuhause? Wo ist unser Halt? Was gibt Perspektive?

Heute spielt ein Ort eine ganz besondere Rolle. Vielleicht ist es für uns auf den ersten Blick nur ein kleines Kaff, unbedeutend. Und wir lesen über diesen Namen des Ortes leicht und schnell hinweg: Bethlehem. Aber Halt! Da war doch was! Vor kurzem, an Weihnachten, hatten wir diesen Ortsnamen auch gehört! Und da war auch scheinbar am Rande etwas geschehen, was aber die Welt verändert hat.

Bethlehem: Das heißt: Haus des Brotes. Und Brot ist ein Grundnahrungsmittel. Es steht für die Grundversorgung unseres Lebens. Der Name dieses Ortes weist uns bereits darauf hin, dass wir hier etwas Entscheidendes für unser Leben finden. Haus des Brotes – Dort finden wir die Nahrung für unser Leben. Dort gibt es die Botschaft, die uns Halt gibt und uns trägt. Doch das zu erkennen, ist gar nicht immer so einfach.

Wir werden heute in eine Zeit hineingeführt, die schon sehr lange her ist. Und dennoch hat diese Zeit auch manches mit unserer Zeit zu tun. Denn die Probleme dieser Welt und die Sorgen und Fragen der Menschen sind geblieben.

Neben dem Buch Ruth führt uns auch das Buch Richter in diese Zeit. Doch während es im Buch Richter mitunter ziemlich kriegerisch zugeht, strahlt das Buch Ruth einen ganz markanten Frieden aus. Es ist der Frieden, den auch wir brauchen in unseren Zeiten.

Einst hatten die Stämme Israels das gelobte Land in Besitz genommen. Das ging nicht ohne Kampf zu. Nun war man im Lande, in dem verheißenen Land, in dem Milch und Honig fließen. Doch auch in diesem lange ersehnten Land geht nicht alles ohne Probleme ab. Das Leben muss sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen. Und so trat gerade in diesem Land eine Hungersnot auf. Und was machen Menschen, wenn sich die Lebenslage zum Schlechten verändert? Die einen resignieren, die anderen suchen nach neuen Wegen. So erfahren wir auch von Noomi und ihrer Familie. Angesichts der bedrückenden Lage im eigenen Lande macht sich ihre Familie auf, um eine Zukunft anderenorts zu finden.

Wie in unseren Tagen brachte auch damals Not Menschen in Bewegung. Da gibt es dann Gerüchte, dass es in anderen Ländern oder Gegenden sich besser leben lässt. Und so erhofft man sich ein neues Leben, vielleicht sogar ein Überleben. Ohne zu wissen, ob das gelingen kann, wird der Schritt gewagt, alles hinter sich zu lassen, was vertraut ist. Das ist wahrlich kein einfacher Schritt.

Noomi und ihre Familie verlassen Bethlehem, das Haus des Brotes. Es konnte scheinbar keinen Halt mehr für das Leben bieten. Doch wohin gehen sie? Sie machen sich auf in ein Land, das dem Volk Israel nicht wohlgesonnen ist. Die Moabiter waren zu erbitterten Feinden geworden. Und das bedeutet: Auch in diesem Land wird Noomi mit ihrer Familie nicht unbedingt einfache Bedingungen vorfinden. Irgendwie schaffen sie es, dennoch Fuß zu fassen. Und wie das so ist, wenn Menschen sich in der Fremde niederlassen, sie versuchen Kontakte zu knüpfen, lernen neue Menschen kennen und es kommt sogar zu neuen Familiengründungen. Noomis Söhne heiraten moabitische Frauen.

Das ist wie in unserem Land. Menschen sind aus anderen Ländern gekommen, haben hier einen neue Heimat gefunden und so kommt es auch zu Heiraten. Das wird zwar nicht von allen gerne gesehen. Aber was will man dazu sagen: Wenn die Liebe Menschen zusammenführt, dann geht das eben auch über Nationalitätsgrenzen hinweg. Noomi lebt also mit ihrer Familie in Moab. Hier kann man gut auskommen. Doch auch hier bleibt einem das Leid dieser Welt nicht erspart. Noomis Mann stirbt. Und dann sterben auch ihre beiden Söhne. Noomi steht nun allein da. Sie hat zwar noch die beiden Schwiegertöchter. Aber das sind ja Menschen eines anderen Volkes, anderer Tradition und Kultur. Was soll Noomi tun? Ihr fehlt es letztlich an einer Lebensversicherung für das Alter. Sie muss sich entscheiden. Sie muss konkrete Schritte tun. Aus der Ferne hat sie Nachricht über Bethlehem bekommen. Im Haus des Brotes hat sich die Lage gewandelt. Im Haus des Brotes gibt es wieder Brot zum Leben. Und so beschließt Noomi, wieder in ihre Heimat zu ziehen. Dort hat sie Familie. Dort wird sie unterkommen können. Dort wird sie eine Zukunft finden.

Doch Aufbruch bedeutet auch Abschiednehmen. Und da stellt sich in besonderer Weise die Frage: Was mache ich mit meinen beiden Schwiegertöchtern? Ruth und Orpa machen sich zunächst mit auf den Weg. Sie begleiten Noomi. Doch Noomi macht sich Gedanken. Die Schwiegertöchter sind in Bethlehem Fremde. Sie sind dann weit weg von ihren Familien, ihrer Kultur, ihrer Religion. Und wer weiß, wie sich die Leute in Bethlehem verhalten werden. Vielleicht sagen sie ja auch wie Jahrhunderte später: Hier ist kein Raum in der Herberge für die beiden Fremden.

Noomi bittet Ruth und Orpa eindringlich, sich noch einmal den einschneidenden Schritt zu überlegen. Seid Ihr nicht besser bei Euren Familien aufgehoben? Die beiden Frauen entscheiden sich unterschiedlich. Orpa kehrt um zu ihrer Familie. Sie geht zurück zum Vertrauten. Sie braucht ihre Tradition, ihre Heimat und ihre Götter. Ruth dagegen wagt den Schritt in eine neue Zukunft. Und sie geht mit Noomi. Und sie spricht ein beeindruckendes Zeugnis aus: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.“

Das sind gewaltige Worte! Es sind Worte der Treue, Worte der Freundschaft, Worte der Liebe. Ruth und Noomi gehen ihren Weg gemeinsam weiter. Sie gehen nach Bethlehem, zum Haus des Brotes, zum Haus des Lebens. „Dein Gott ist mein Gott.“ Ganz offensichtlich hat Ruth diesen Gott kennengelernt. Und sie vertraut auf ihn als dem lebendigen Gott. Ruth lässt ihre Vergangenheit hinter sich, ihr altes Leben, ihre alten Traditionen, ihren alten Glauben. Sie lässt sich auf das Neue ein.

Doch wie wird es werden? Was wird kommen? Dass das Leben auch mit dem lebendigen Gott nicht nur Schlaraffenland ist, das weiß Ruth, darauf lässt sie sich ein. Und auch wir wissen es. Als Menschen gehen wir durch Höhen und Tiefen. Das bringt das menschliche Leben eben so mit sich. Aber  dazu kommt das Vertrauen in den lebendigen Gott. Er wird mitgehen und uns nicht allein lassen.

In Bethlehem war es Noomi einst nicht schlecht ergangen. Sie stammte aus einer Familie mit Reichtum. Doch nun hat sie alles verloren, ihren Mann und ihre beiden Söhne. Sie kommt mit leeren Händen nach Hause. So sieht es zumindest auf den ersten Blick aus. Doch wenn wir genauer hinschauen, ist dem nicht so. Sie kehrt nach Bethlehem zurück mit einem ganz großen Geschenk, mit einer Freundschaft. Und das ist die Freundschaft zu einer Frau, die aus einem fremden Volk stammt. Und doch ist diese Freundschaft so wertvoll.

Auch wenn wir in unserem Leben vieles verlieren können, auch wenn wir immer wieder ganz neu beginnen müssen, auch wenn wir vor neuen Herausforderungen stehen, ja, wenn wir in dieser Zeit mit den ungewöhnlichen und unangenehmen  Bedingungen zurechtkommen müssen, dann helfen gerade diese Verbindungen mit anderen Menschen, auf die wir zählen können, die uns und die wir begleiten. Freundschaft trägt, gerade auch in schweren Zeiten. Und dabei zeigt sich mitunter, wer ein wahrer Freund oder eine wahre Freundin ist, auch über manche Grenzen hinweg.

Bethlehem, das Haus des Brotes, wird wenige Generationen später wieder eine Rolle spielen. In Bethlehem wird David geboren, der spätere König von Israel. Unter ihm wird Israel so mächtig werden, wie sonst nie mehr. Unter ihm wird es Wohlstand und Luxus geben. Bethlehem, das Haus des Brotes, wird hier für alle erfahrbar. Und doch ist die Zeit des Königs David auch mit Abgrenzung und Eroberung anderer Völker verbunden. Hier verengt sich der Blick wieder sehr auf das eigene Volk. Ob David bewusst war, dass seine Urgroßmutter Ruth hieß und eine Moabiterin war? Jedenfalls ist Ruth in das Volk hineingewachsen. Als sie in Bethlehem ankam, war sie noch die „Fremde“, dann wurde sie zur „Magd“, danach eine „tüchtige Frau“ und schließlich zur „Frau, die in dein Haus kommt“. Dabei kommt es natürlich auf die Offenheit beider Seiten an. Aber es ist eine Geschichte mit Verheißung, dass aus Fremden Freunde werden können und die Geschichte des Volkes mitschreiben.

Ruths Urenkel David ist zum Idealbild eines Königs in Israel geworden. Und so sehnte man sich in den nachfolgenden Jahrhunderten nach einem neuen David, der sein wird wie der alte David, der Macht und Stärke, Wohlstand und Schutz dem Volk bringen wird.

Und so rückt ein weiteres Mal Bethlehem ins Blickfeld. Das Haus des Brotes, das Haus des Lebens wird erneut zu einem Ort, an dem Gott mit uns Menschen Geschichte schreibt. Vor den Toren der Stadt wird Jesus geboren, ein Nachfahre von David und Ruth. Anders als David weitet Jesus unseren Blick über die Grenzen des Volkes Israel hinaus. Gottesvolk, das ist nun nicht mehr nur ein spezielles Volk allein, sondern die Gemeinschaft all derer, die sich zu dem lebendigen Gott halten. Hier spielt die Herkunft keine Rolle mehr. Jesus hat das Heil aller Menschen im Blick und lädt uns alle ein, um bei ihm Geborgenheit und Frieden, Zuversicht und Halt zu empfangen.

In unseren Tagen sind viele Menschen unterwegs. Sie haben sich aufgemacht, um eine neue Heimat zu finden. Die Verhältnisse in ihrer alten Heimat lassen kein würdiges Leben mehr zu. Viele kommen auch zu uns, in unser Land, als Fremde. Ebenso haben sich in unserem Land viele aufgemacht, um eine neue Heimat zu finden, weil sie entdecken, dass das Leben nicht mehr so funktioniert. Sie suchen nach einer neuen Heimat für ihr Leben. Sie suchen nach dem Brot für ihr Leben. Und vielleicht begegnen sie auch uns und dem Glauben an den lebendigen Gott. In jedem Fall ist entscheidend, wie wir den Menschen auf der Suche nach neuer Heimat begegnen, ob sie uns abspüren, was wir leben wollen. Ob sie bei uns ein Bethlehem, ein Haus des Brotes, finden oder nicht, wird davon abhängen, wie wir ihnen begegnen und was wir ihnen vorleben. Der christliche Glaube ist in unserer Zeit vielerorts schwach geworden. Aber auch da, wo er lebt, da kommt es darauf an, ob wir Menschen mit den Augen Jesu sehen oder nicht. Und die Menschen spüren es uns ab. Ich kann viel über meinen Glauben sprechen. Ich kann viel in der Bibel lesen und Gottesdienste feiern, wenn ich den Menschen aber die kalte Schulter zeige, werden sie sich abwenden. Wenn sie dagegen spüren, dass sie bei mir und uns ein Zuhause finden, dann können sie sich öffnen. Wir haben es aber nicht in der Hand, wie sich andere verhalten. Bei Noomi zeigen sich die Wege, die Menschen einschlagen können. Orpa – sie heißt übersetzt „die den Rücken Zukehrende“ – entschied sich für den Weg zurück zu den alten Traditionen. Ruth dagegen war offenbar so beeindruckt von Noomi, dass sie sich auf den neuen Weg, den Weg mit dem lebendigen Gott einließ.

Jesus öffnet uns die Augen für die Sorgen und Nöte aller Menschen. Er ermutigt uns, die Schranken zu anderen Menschen abzulegen, damit wir gemeinsam neue Wege gehen können. Freundschaft ist im Leben nicht selbstverständlich. Freundschaft braucht Zeit und den Willen dazu. Und sie erfordert ein Wachstum des eigenen Bewusstseins und des Bewusstsein des anderen. Aber wer auf die Freundschaft mit Gott traut, kann und wird auch überrascht werden, wie aus Fremden Freunde werden können.

Gerade in nicht einfachen Zeiten sind Freunde wichtig. Gott, der mit uns geht, möchte uns für diese Freundschaften öffnen, damit wir miteinander nach Bethlehem finden, zum Haus des Brotes, zum Haus des Lebens, wo wir darauf trauen können, dass es eine Zukunft mit Gott für uns gibt.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg