5. September 2021 - 14. Sonntag nach Trinitatis

5. September 2021 - 14. Sonntag nach Trinitatis

Pfarrer Julian Hensold

Predigt: 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher 5, 14-24

14 Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Übermütigen zurecht, ermuntert die Mutlosen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. 15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann. 16 Seid allezeit fröhlich. 17 Betet ohne Unterlass. 18 Seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. 19 Den Geist dämpft nicht. 20 Prophetische Rede verachtet nicht. 21 Prüft aber alles und das Gute behaltet. 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt. 23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. 24 Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.

 

Liebe Gemeinde, 
wann genau ist man eigentlich dankbar? Wann fühlt man sich jemand anderem gegenüber zu Dank verpflichtet? Wann ist es Zeit für ein ›Dankeschön!‹ zusammen mit einer Umarmung vielleicht oder einer kleinen Aufmerksamkeit – je nachdem? Welche Situationen sind das? 
Klar, es gibt da so viele Situationen… aber überlegen sie doch mal nur kurz für sich, wann sie zuletzt dankbar waren, wem und wofür… 
Woran genau sie für sich gedacht haben, das weiß ich natürlich nicht. Ich glaube aber, dass alle Situationen, in denen wir Dankbarkeit empfinden, etwas gemeinsam haben: Sie haben immer damit zu tun, dass uns jemand etwas geschenkt hat. 
 
Dankbar sind wir für Geschenke, für Gaben! (Zeigen des Geschenks) Aber Vorsicht: Geschenke und Gaben freilich nur im weitesten Sinne des Wortes. Gar nicht unbedingt materielle Geschenke. Klar, die auch! Aber viel allgemeiner sind wir dankbar, wenn uns jemand – wie es im Wochenspruch heißt – etwas »Gutes getan hat«.  
Wenn uns jemand etwas »Gutes« tut, etwas, das zu unserem Wohlempfinden und Wohlergehen beträgt, dann sind wir dankbar. Dieses »Gute« kann auch unsere Lieben, unsere Familien und Freunde, ja auch unsere Haustiere betreffen. Und je mehr es um das Leben als Ganzes geht, desto größer ist unsere Dankbarkeit! Denken sie z.B. an die Dankbarkeit dafür, wenn uns jemand hilft, wenn es uns schlecht geht, uns vielleicht pflegt oder medizinische Hilfe leistet. Das vergisst man über Jahre nicht. Vielleicht nie. Das bleibt. – Nach der Schule während meines Zivildienstes habe ich als Hilfskraft auf einer chirurgischen Krankenhausstation gearbeitet (in Donauwörth, meiner Heimatstadt, war das). Dort gab es im Schwesternzimmer eine Pinnwand voll mit Dankeskarten und täglich kamen neue Karten hinzu – meist zusammen mit Blumensträußen und sonstigen Erkenntlichkeiten. Manche standen unmittelbar mit einer Entlassung im Zusammenhang, andere kamen noch Wochen oder Monate später… 
Dankbar sind wir, wenn jemand uns oder unser Umfeld beschenkt hat, indem er etwas »getan hat«, das guttut, ja vielleicht hilft oder sogar rettet. Und unsere Dankbarkeit? Unsere Dankbarkeit ist so etwas wie die Resonanz oder das Echo dieses Guten, das uns jemand zum Geschenk gemacht hat. Über unsere Dankbarkeit wendet sich diese gute Tat auf ihren Urheber zurück. Unwillkürlich! Ja, fast wie ein Reflex! Wir werden innerlich bewegt, empfinden das Gute… es muss aus uns raus und wir sagen: »Danke!«, »Dankeschön!«, »Vielen Dank!«… 
Dankbarkeit ist wie ein Echo des Guten, das einem geschenkt wurde. Und das geschenkte Gute zusammen mit der Dankbarkeit, die es bewirkt, bilden zusammen eine Art kreisförmiger Bewegung. Eine Bewegung, in der wir gemeinsam innerlich aufleben. 
Liebe Gemeinde, schauen sie nochmal (Hochheben des Geschenks): das Geschenk, das ich heute mitgebracht habe, es ist noch eingepackt. Es ist noch verschlossen. Man sieht von außen noch nicht, was in der Box ist. Sinnbildlich soll dieses Geschenk für das besondere und besonders »Gute« stehen, das uns Gott »getan hat«. 
Unser Gottesdienst steht ja heute ganz im Zeichen unserer Dankbarkeit gegenüber Gott. Singend und betend haben wir diese ganz unvergleichliche Dankbarkeit bereits zum Ausdruck gebracht. Auch in der Lesung aus dem Lukasevangelium ging es beispielhaft um die Dankbarkeit von uns Menschen Gott gegenüber. Sie erinnern sich an den Samariter, der zu Jesus zurückkehrt, um sich beim ihm zu bedanken…
 
Was genau aber ist denn das »Gute«, das uns Gott unserer »Seele« »getan hat« – um noch einmal den Wochenspruch zu zitieren? Wofür genau sind wir Gott dankbar? Und wie genau sollen wir ihm unsere Dankbarkeit zeigen? – (Hochheben des Geschenks) Noch bleibt die Box zu, in der sich sinnbildlich das Geschenk Gottes an uns Menschen befindet. Aber ich werde sie selbstverständlich noch öffnen!
 
Hören wir jetzt auf den Predigttext. Er stammt aus dem 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher, dem ältesten Text des Neuen Testaments. Paulus kommt hier auch auf die Dankbarkeit gegenüber Gott zu sprechen. Ich lese aus Kapitel 5 die Verse 14-24: 
»14 Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Übermütigen zurecht, ermuntert die Mutlosen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. 15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann. 16 Seid allezeit fröhlich. 17 Betet ohne Unterlass. 18 Seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. 19 Den Geist dämpft nicht. 20 Prophetische Rede verachtet nicht. 21 Prüft aber alles und das Gute behaltet. 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt. 23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. 24 Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.« – Soweit der Text.
 
Liebe Gemeinde, wie für die Trinitatiszeit üblich bezieht sich der Text vor allem auf uns, auf uns als Gemeinde, auf uns als Christinnen und Christen. Vom Geschenk, von der Gabe Gottes an uns erfahren wir im Predigttext selbst nichts Genaueres. Zumindest nicht auf den ersten Blick. 
 
Aber es heißt da, »[s]eid dankbar in allen Dingen«. Das haben wir gerade gehört. Man könnte auch übersetzen: »Bei allem seid dankbar.« Wichtig ist jedenfalls, dass Paulus nicht schreibt: »Seid für alle Dinge dankbar.« Wovon er schreibt, ist vielmehr eine Dankbarkeit, die alles Tun begleiten soll! Paulus schreibt von einer Dankbarkeit, die das gesamte Leben und Handeln tragen und beflügeln soll! Ob wir nun die »[…] Übermütigen zurecht [weisen], […] die Mutlosen [ermuntern], [oder] […] die Schwachen [tragen]… ob wir uns bemühen, niemandem »Böses mit Bösem« zu vergelten und »allezeit dem Guten nach[zujagen] untereinander und gegen jedermann«… wir sollen immer »fröhlich« sein, »beten« und – »bei allem dankbar« sein! Und auch wenn Paulus danach fortfährt mit seiner Ermahnung, »[d]en Geist [nicht zu] dämpf[en] […]«, »[p]rophetische Rede [nicht zu] verachte[n]« und »[…] das Böse in jeder Gestalt [zu meiden]«, auch dann soll all dies geschehen unter dem positiven Vorzeichen der Dankbarkeit. Die Dankbarkeit als positives Vorzeichen christlichen Lebens in der Gemeinde und allgemein unter Menschen! 
 
Dass das ›Dankbarsein‹ »bei allem«, was wir tun, eine besonders zentrale Rolle spielt, wird im Text dadurch deutlich, dass Paulus nur hier anfügt »[…] denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch«. Was das ›Fröhlichsein‹ und selbst, was das ›Beten‹ angeht, sagt er das nicht.

Desto mehr stellt sich die Frage, was es nun genau(er) mit dieser Dankbarkeit auf sich hat. Außer Frage steht, dass sie sich auf Gott richten soll. Außer Frage steht auch, dass die Dankbar Ausgangspunkt allen Handelns sein soll. Aber wofür sollen wir Gott dankbar sein? Woran denkt Paulus hier?
 
Eine Antwort auf diese Frage finde ich im Lebenswerk Albert Schweitzers. Sicherlich ist vielen von ihnen der Name ein Begriff. Albert Schweitzer – 1875 im damals deutschen Elsass-Lothringen geboren und im Jahr 1965 in Lambaréné im zentralafrikanischen Gabun gestorben – war evangelischer Theologe, Arzt, Philosoph, Friedensaktivist, Organist und Musikwissen-schaftler. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehört der Friedensnobelpreis des Jahres 1952. Noch bevor er aber als ›Urwalddoktor‹ und Friedensnobelpreisträger zu Weltruhm gelangte, war Schweitzer einer der führenden Theologen im deutschsprachigen Raum. Schweitzers Buch zur Geschichte der ›Leben-Jesu-Forschung‹, das aus dieser Schaffensphase stammt, gehört zu den wichtigsten theologischen Büchern des 20. Jh. Aber auch als Schweitzer bereits weltberühmt war, verfasste er noch einflussreiche theologische Bücher. In einem dieser Bücher, veröffentlich im Jahr 1930, beschäftigt sich Schweitzer mit der Theologie Paulus (Titel: Die Mystik des Apostels Paulus). Um den Kerngedanken dieses Buches geht es mir jetzt.

Aus Schweitzers Sicht ist der Dreh- und Angelpunkt Paulus Denkens über Gott und den Menschen der Gedanke des »In-Christus-Seins« (Griechisch: »ἐν Χριστῷ«). Für Paulus gelangen wir durch den Glauben an Gottes Handeln in und durch Jesus zu einem grundsätzlich neuen Bewusstsein über uns und die Welt! Wenn wir daran glauben, dass Gott so ist, ganz wie Jesus war, den Menschen liebevoll zugewandt, sich für sie aufopfernd, dann verändert sich für uns unsere Sicht auf die Dinge. Unser Leben ist dann ein »Sein-in-Christus«. Wir leben, wir fühlen und denken anders, eben vom Bewusstsein der unsterblichen »Liebe Gottes« aus. Dass Gott uns bedingungslos liebt. Und dass es keine höhere Wahrheit gibt! 
 
 
Dieses neue Bewusstsein nennt Paulus häufig auch den »Heiligen Geist«. Denn es verbindet uns miteinander. Wir haben es nicht alleine. Als Christinnen und Christen teilen wir es. Ähnlich spricht man heute bspw. vom ›Teamgeist‹ oder vom ›Zeitgeist‹, um zu sagen, dass Menschen ein Bewusstsein miteinander teilen und in vielem eines Sinnes sind. In seinem Brief an die römische Gemeinde verdichtet Paulus den Gedanken vom »Heiligen Geist« zu der Quintessenz (Kapitel 5 Vers 5b): »[…] [D]ie Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist.« Und in Kapitel 8 Vers 38-39 des Römerbriefes dann erinnert Paulus seine Adressaten daran, dass sie nichts und niemand von der »Liebe Gottes« trennen kann. 

Das ist für mich die Antwort auf die Frage nach der Dankbarkeit gegenüber Gott – und damit öffne ich jetzt die Geschenkbox (Öffnen des Geschenks und Zeigen des Herzsymbols): Gottes Geschenk an uns, das ist seine Liebe! Das besondere und besonders Gute, das Gott uns geschenkt hat, ist, dass er uns seine Liebe bewahrt. Wir sind geliebt von Gott, ganz egal, was auch geschehen mag. Gott geht unseren Lebensweg mit uns, wir können ihm alles erzählen, er hört uns zu, er tröstet uns, er hält uns fest. Und weil Gottes Liebe unser ganzes Leben betrifft – voll und ganz! – könnte es gar keine größere Dankbarkeit geben!
 
Aus diesem Bewusstsein und der Dankbarkeit dafür Gott gegenüber zu leben, das bedeutet für mich, als Christin oder Christ zu leben. Dafür steht dieses Herz! 
 
Wenn Paulus also sagt, wir sollen, »[b]ei allen Dingen dankbar« sein, dann meint er damit, dass wir im Bewusstsein der »Liebe Gottes« leben sollen. Gott hat uns bereits das Wichtigste geschenkt und niemand kann uns dieses Geschenk nehmen. 
 
Bleibt nur noch die Frage, wie genau wir unsere Dankbarkeit Gott gegenüber zeigen sollen? Zu Beginn meiner Predigt habe ich gesagt: Dankbarkeit ist wie ein Echo des Guten, das einem geschenkt wurde. Und das geschenkte Gute zusammen mit der Dankbarkeit, die es bewirkt, ist wie eine kreisförmige Bewegung, in der wir gemeinsam innerlich aufleben.
 
Ich glaube, das Besondere der Dankbarkeit gegenüber Gott ist, dass sie uns dazu anleiten möchte, dass wir sein Geschenk auch weiterschenken – was man ja normalerweise nicht macht mit Geschenken. Es geht nicht nur darum Gott singend und betend zu danken, wie wir z.B. heute im Gottesdienst tun und es geht auch nicht nur darum, Gott dafür dankbar zu sein, was er in unserem Leben tut. Das beides freilich auch. Vor allem aber, meine ich, geht es darum, Gottes Liebesgeschenk an andere weiter zu schenken. Die kreisförmige Bewegung aus Gottes Liebesgeschenk und unserer Dankbarkeit dafür soll immer weitere Kreise ziehen. Die Liebe soll immer weitere Kreise ziehen. Sie soll sich ausbreiten. Immer mehr Menschen sollen von der Liebe berührt werden und durch sie aufleben.
 
Albert Schweitzer hat dieses Bewusstsein in seiner Philosophie »Ehrfurcht vor dem Leben« gelehrt und er hat es vor allem auch selbst gelebt. Im Jahr 1913 hat er zusammen mit seiner Frau in Gabun ein Krankenhaus für Arme und Mittellose errichtet. Mit Unterbrechungen hat er dort bis zu seinem Tod Mitte der 60er Jahre als Arzt gewirkt und hunderten Menschen geholfen, die sonst keine medizinische Hilfe erfahren hätten. 
 
Im Kleinen können auch wir die »Liebe Gottes« weiterschenken. Indem wir, wie Paulus uns im 1. Thessalonicherbrief ermahnt, für unsere Mitmenschen da sind und ihnen, besonders den Kindern, von »Guten« erzählen, das Gott uns »getan hat« – von seiner unsterblichen Liebe.
 
Beim Rausgehen nach dem Gottesdienst bekommen sie alle ein symbolisches Liebesherz, dass sie an Gottes unsterbliche Liebe erinnern soll. Sie können es selbst als Geschenk behalten, oder an einen lieben Menschen weiterschenken. Darin werden sie einen Bibelvers finden, der zwar nicht von Paulus stammt, aber seine Botschaft von der »Liebe Gottes« ganz wunderbar zusammenfasst. Er stammt aus dem 1. Johannesbrief Kapitel 4, Vers 16: »Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.« – Amen.
 


25.07.2021 8. Sonntag nach Trinitatis


Predigt: 1. Korinther 6:9-20

9 Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder 10 noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben. 11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes. 12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. 13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe. 14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. 15 Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Sollte ich nun die Glieder Christi nehmen und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne! 16 Oder wisst ihr nicht: Wer sich an die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr? Denn die Schrift sagt: »Die zwei werden ein Fleisch sein« (1. Mose 2,24). 17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm. 18 Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, sind außerhalb seines Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe. 19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? 20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

Wow! Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Da bleibt mir erst einmal der Atem weg! Was mache ich mit diesen Worten? Die haben es in sich! Soll ich besser doch einen anderen Text nehmen? Soll ich mich darum drücken? Ja, das wäre leichter. Da könnte ich manche heiße Eisen gut umschiffen. Und vielleicht fallen mir dann ganz schöne Worte und Gedanken ein.

Aber soll ich das wirklich machen? Nur weil diese Worte es in sich haben, sich einfach aus dem Staub machen? Das wäre feige! Also beschließe ich, mich doch der Herausforderung zu stellen. Und meine Erfahrung sagt mir: Wenn ich mich auch manch Unangenehmem stelle, dann kann ich doch eine ganze Reihe spannender Entdeckungen machen.

Trotzdem muss ich etwas schlucken. Was hören wir hier? Ich stelle mir vor: Ich will meinen Zug erreichen, habe meine Fahrkarte, alles parat, stürme die Treppe zum Bahnsteig hinauf und höre: „Bitte zurückbleiben!“ Und schon gehen die Türen zu. Was bleibt, sind die roten Rücklichter des ausfahrenden Zuges. So ungefähr kommen mir die Worte des Paulus vor: Für manche heißt es: Der Zug ist abgefahren. Der Weg zu Gott ist versperrt. Heftig!

Und dann werden hier noch die Gründe aufgelistet. Und wir spüren, dass da manches dabei ist, was in unserer Zeit ganz anders gesehen wird. Sexualität wird in unserem Land viel freizügiger gelebt. Und auch dieses Thema „Knabenschänder“ bringt uns ganz schön ins Schwitzen. Es gibt Bibelübersetzungen, die an dieser Stelle „Homosexuelle“ schreiben. Wie gehe ich also mit diesen Worten um? Da besteht ganz schnell die Gefahr, dass man mit seinen Worten im rechten Milieu verortet wird.  Und dazu sagen viele Menschen heute: „Das ist typisch Kirche: Altmodisch! Nicht mehr zeitgemäß!“

Ich möchte mich in diese Thematik nicht so sehr vertiefen. Ich kann zwar nachvollziehen, dass Worte wie die des Paulus in der Kirche zur Ablehnung bestimmter Lebensstile führen können, aber ist das das eigentliche Thema, um das es hier geht? Geht es Paulus wirklich darum? Oder lassen wir uns nur zu schnell auf eine falsche Fährte locken und übersehen dabei, was eigentlich Sache ist?

Ich denke, wir müssen uns behutsam dem Thema nähern. Und da blicke ich zuallererst auf grundlegende Aussagen der Bibel. Als Menschen sind wir von Gott geliebt. Wir sind seine Geschöpfe. Und er möchte für uns das Beste. Von daher kann und darf ich nicht einfach Menschen aufgeben oder aburteilen. Das steht mir nicht zu!

Trotzdem spricht die Bibel auch immer wieder unverhohlen davon, dass wir Menschen auf Abwege geraten, dass unser Lebensweg und -stil nicht immer den Vorstellungen Gottes entsprechen. Doch auch hier darf ich sehen, wie Gott um uns Menschen ringt, wie ihm jeder Mensch am Herzen liegt. Und davon spricht Paulus auch. Er verheißt uns, dass wir von den Toten auferweckt werden, dass wir dazu bestimmt sind, eine Zukunft zu haben bei und mit Gott. Das ist eine wunderbare Verheißung und ein starker Zuspruch. In der Taufe haben wir dies ganz konkret zugesagt bekommen. Wir sind in ein neues Leben, ein Leben, das nicht der Vergänglichkeit preisgegeben ist, gestellt. Und hier hat sich etwas ganz konkret in unserem Leben getan. Bei manchen wird dies ganz augenscheinlich, bei anderen tritt es nicht so zutage. Aber Gott schenkt Befreiung und Zukunft.

Unter den Gemeindegliedern in Korinth waren Menschen, die in ihrem früheren Leben sehr unmoralisch und wild gelebt haben, die nur auf ihren eigenen Vorteil geschaut haben, die das Leben ausgekostet haben, auch auf Kosten anderer. Doch diese scheinbare Freizügigkeit war keineswegs Freiheit. Vielmehr hat dieser Lebensstil unfrei gemacht, einsam und starr. Darin war keine Perspektive mehr. Die Botschaft des Evangeliums dagegen hat ein anderes Leben eröffnet, ein Leben der Befreiung von den alten Belastungen und Lasten. Und diese Befreiung haben so viele Menschen als ein großes Geschenk aufgefasst. Christus hat mich freigemacht. Jetzt kann ich alles tun und lassen, wie ich will. Doch so hat Gott die Freiheit nicht verstanden. Manche Freiheit kann auch wieder binden, kann unsere Beziehungen belasten, kann uns nur noch auf uns selber blicken lassen. „Ich bin frei. Darf ich alles?“ Das ist die zentrale Frage, um die es hier geht.

Paulus geht auf eine spezielle Situation unter den Christen in Korinth ein. Manch einer hat geglaubt: Ich bin getauft. Ich gehör dazu. Also ist für mich alles möglich. Denn ich bin ja auf er sicheren Seite. Doch da formuliert Paulus ganz spitz: „Täuscht euch nicht!“ Achtet vielmehr auf Euer Leben, auf Euren Lebensstil. Denn bei aller Freiheit, die Dir geschenkt ist, kann es sein, dass Du wieder in alte Bindungen zurückrutschst.

In Korinth fingen einige Gemeindeglieder mit anderen einen Streit an. Ja, sie zogen sogar vor Gericht gegen Mitchristinnen und Mitchristen. Doch da möchte Paulus sich nicht drauf einlassen. Wenn wir ein neues Leben in Christus führen, dann muss es andere Wege geben, dann leben wir aus der Vergebung und in der Versöhnung.

Anschaulich macht Paulus es am Bild des Körpers. Wir alle gehören zum Leib Christi. Wir allen sind Glieder und somit Teilhaber an der Gemeinschaft mit ihm. Wir gehören zusammen und sind alle gleich viel wert. Deshalb kann es nicht sein, dass manche nicht als Glieder des Leibes Christi leben, nicht unserer Bestimmung gemäß als Kinder Gottes den Weg der Gemeinschaft gehen. Unser Körper soll ein Tempel sein, ein Ort, an dem Gott gegenwärtig ist durch seinen Heiligen Geist. Und das bedeutet, dass sich in und an uns auch der neue Lebensstil widerspiegelt.

Wir können uns also nicht so verhalten, dass Menschen unter uns und unseren Machenschaften leiden. Wir können uns nicht von Habgier bestimmen lassen, denn das zerstört die Gemeinschaft. Und insofern: Lassen wir es in unserem Leben nicht einfach so laufen. Wenn wir bedenken, dass für uns ein Platz im Himmel, ein Platz bei Gott reserviert ist, dann geht es auch darum, entsprechend zu leben. Es wäre nicht übereinzubringen, wenn wir auf Kosten anderer unser Leben gestalten. Und das bedeutet auch, dass die Maßstäbe unserer Gesellschaft nicht unbedingt die Vorlage für unser Leben sein können und müssen. Paulus macht deutlich, dass wir gerechtfertigt sind durch Glauben. Und das befreit uns von allem Leistungsdruck, aber auch vom Druck der Sünde. Wir dürfen aufatmen und getrost die Zukunft angehen. Doch für uns Christinnen und Christen geht es darum, dass wir  nicht nach den weltlichen Prinzipien handeln. Nicht Eigenliebe, sondern Nächstenliebe soll unser Leben bestimmen. Und das bedeutet auch, dass wir niemand ausnutzen, nicht den Körper eines anderen zu unserem Vergnügen gebrauchen. Wenn der andere Mensch zum Objekt der Begierde wird, dann wird er entmündigt und abgewertet. Deshalb geht es gerade darum, den anderen zu achten und zu ehren, ihn nicht für die eigenen Interessen auszunutzen. Denn das trennt, das bereitet Wunden, das schmerzt.

Paulus ermutigt, den Heiligen Geist an und in uns wirken zu lassen. Und das heißt: Wir sollen uns und unseren Körper bestimmungsgemäß gebrauchen und einsetzen. Der Heilige Geist führt und leitet uns dann Wege, die wir gehen können, so dass wir wirklich frei sein können, dass uns nichts Altes, Verletzendes, die Würde Raubendes mehr niederdrücken kann.

Geht also die guten Wege Gottes! Nehmt einander in den Blick! Achtet auf einander in Liebe, dass Ihr nicht den neuen Lebensstil Gottes aus dem Blick verliert. Christus hat einen hohen Preis gezahlt. In ihm hat sich Gott gegeben, damit wir frei sein können und leben. Gebt mit Eurem Körper Gott die Ehre. So könnt Ihr leben, dass die Menschen spüren: In der Gemeinschaft der Christen  geht es anders zu. Hier wird man gegenseitig geachtet und geschätzt. Gott stellt unsere Füße auf weiten Raum. Und das wird konkret, wo wir uns nicht wieder von den Fesseln des alten Lebens bestimmen lassen. Deshalb brauchen wir auch all die Dinge, die uns nur in ihren Bann ziehen und uns die Kraft nehmen wollen, nicht.

Der Zug ist abgefahren, wo auf die Befreiung, die Gott schenkt, verzichtet wird. Es gibt Lebensstile, die verlockend sind, die einen reizen, die aber zugleich belasten und unfrei machen. Alkohol kann Menschen in eine Abhängigkeit bringen, die das Leben beeinträchtigt, Beziehungen zerstört und der Gesundheit schadet. Wer seine Macht und Machtansprüche auslebt und dabei andere niederhält und abhängig macht, belastet die Beziehungen zu anderen Menschen. Verhaltensweisen, die einen anderen Menschen unterdrücken und ihm die Möglichkeit zur Entfaltung nehmen, belasten und rauben die Freiheit. Ja, frei sein wollen wir alle. Paulus aber zeigt auf, dass nicht jede Freiheit gut tut. Dort, wo wir Menschen  ausnutzen und für unsere Zwecke benutzen, wo wir Menschen abhängig machen und nur an uns selber und unseren eigenen Profit denken, da verkommt Freiheit und wird zu einem unangenehmen Druck auch auf dem eigenen Leben. Paulus erinnert uns aber daran, dass Christus uns Freiheit geschenkt hat, weil er vollen Einsatz für uns gegeben hat. Diese Freiheit hat den anderen im Blick, sucht für ihn das Beste. Für einander da sein, einander schützen und schätzen, helfen und heilen, schauen, dass es anderen gut geht, das ist ein Lebensstil, der frei macht und Befreiung schenkt.

Paulus will wachrütteln. Er will den Christinnen und Christen in Korinth sagen und zeigen, dass Christus uns einen anderen Lebensstil geschenkt hat, als ihn uns diese Welt gibt. Deshalb ist es gut, wenn wir jeden Tag neu zuerst auf Gott schauen, seine Botschaft hören, die uns frei macht, die uns befreit zu einem Leben der Gemeinschaft, der liebevollen Hinwendung, sodass jeder Mensch in den Blick kommt und wert geachtet ist. So können wir als Christenheit einen anderen Weg gehen, einen Weg, der das meidet, was das Leben letztlich nur bindet, was dem Leben den Tiefgang nimmt. Paulus möchte, dass in der Gemeinde der Friede Christi regieren kann, dass wir uns und unsere Körper dazu einsetzen, dass wir einander in der Gemeinschaft tragen können.

Schwierige Worte mutet uns Paulus heute zu, Worte, die uns vielleicht schlucken lassen. Aber Paulus sagt sie nicht ohne Grund. Er sieht, wie das Leben in der christlichen Gemeinde von Korinth belastet wird, wie die errungene Freiheit verspielt wird. Und er warnt: Ihr tut Euch selbst nichts Gutes, wenn wir nicht auf Euch, auf Euren Körper achtet. Ihr verspielt damit Eure Freiheit. Ihr verspielt damit, was Ihr schon habt.

Lasst Euch ein auf den anderen Lebensstil, den Christus schenkt. Denkt und handelt nicht egoistisch, sondern einer achtet den anderen höher als Euch selbst. Das ist zuvorkommende Liebe. Und das lässt das Leben gelingen. Achten wir auf uns, damit wir uns nicht unbemerkt abhängig machen von dem, was nicht guttut.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg